ZusammenHalten – Aussiedlertag 2024 in Roßwein
Diese Welt ist nicht der Himmel, sondern der Ort der Bewährung, Landesbischof Tobias Bilz
(31.08.2024, Aussiedlertag in Roßwein)
Am Samstag, dem 31. August 2024, war in Roßwein einiges anders als an anderen Samstagen. Die Landeskirche Sachsen wählte unsere Stadt zum Austragungsort des diesjährigen Aussiedlertages aus und so reisten am frühen Vormittag ganze Reisebusse voller Menschen an, die in Deutschland eine zweite Heimat gefunden haben.
Der Posaunenchor empfing die Besucherinnen und Besucher vor dem Kirchenportal mit seiner Musik. In der Winterkirche war eine kleine Fotoausstellung aufgebaut, in der Dinge zu sehen waren, die die Aussiedlerinnen und Aussiedler bei ihrer Ankunft in Deutschland in ihren Koffern hatten, z.B. Familienfotos, Taschenuhren, Rezepte, Stickereien. Erinnerungen an die zurückgelassene Heimat.
Um 10.00 Uhr begann der Festgottesdienst. Spätaussiedlerinnen trugen feierlich einen Globus, ein Akkordeon, ein Wörterbuch und einen Samowar in den Altarraum. Der Globus stand für die Verbundenheit der Menschen über Grenzen hinweg, das Akkordeon stand für die Musik, die Menschen überall auf der Welt eint, der Samowar stand für gute Stunden, die Menschen gemeinsam verbringen und das Russisch Wörterbuch symbolisierte die Sprache der verlassenen Heimat.
Superintendent Dr. Sven Petry stellte in seiner Begrüßung die Lage des Kirchenbezirkes „mitten im Zentrum Sachsens und mitten zwischen den Zentren (Leipzig, Chemnitz, Dresden Anm. d. Red.)“ heraus und führte in das Thema des Tages „ZusammenHalten“ ein.
Der 2. Stellvertretende Bürgermeister Roßweins, Frank Trommer, begrüßte ebenfalls alle Honoratioren und Besucherinnen und Besucher. Neben dem Landesbischof waren auch der Sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer und die Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten Natalie Pawlik unter den Anwesenden. (Das Grußwort des 2. Stellvertretenden Bürgermeisters Frank Trommer finden Sie am Ende des Textes.)
In seiner Predigt ging Landesbischof Bilz der Frage nach „Was veranlasst uns zu handeln?“ – es sind Umstände, Werte und innere Antreiber. Die inneren Antreiber sind darauf ausgerichtet, beliebt, erfolgreich, stark und perfekt zu sein. Er stellte auch die Frage „Welche Antreiber kommen aus dem christlichen Glauben?“ und er stellt die Liebe Gottes in Beziehung zu den Menschen, eine Liebe die entlastet, die keinen Perfektionismus fordert. Er ruft am Ende seiner Predigt die Anwesenden dazu auf „Seid gut zu den Menschen – es ist zu eurem eigenen besten.“
Im Anschluss an die Predigt nutzte er die Gelegenheit, um dem Initiator und bisherigen Organisator des Aussiedlertages Friedemann Oehme für sein großes Engagement bei der Organisation verschiedener Aussiedlertage zu danken. Als Ökumene-Referent hat Friedemann Oehme vielfältige Kontakte zu den lutherischen Kirchen in Osteuropa und der ganzen Welt gepflegt.
Friedemann Oehme nahm den Dank an und gab ihn weiter an die zahlreichen Helferinnen und Helfer, die ihn bei seiner Arbeit unterstützten. In Zukunft werden die Aussiedlertage nun von Frau Helena Radisch federführend organisiert.
Ministerpräsident Michael Kretschmer betonte in seinem anschließenden Grußwort die Bedeutung der Religionsfreiheit im Grundgesetz und bedankte sich dafür, dass er an diesem Tag teilnehmen durfte. Er äußerte den Wunsch nach mehr Zusammenhalt und Gemeinschaft in der Gesellschaft und ermutigte die Menschen, beherzt in die Zukunft zu gehen.
Natalie Pawlik berichtete an diesem Vormittag in ihrer Rede davon, dass sie wegen ihrer eigene Familiengeschichte Teil der Aussiedler-Minderheit in Deutschland ist. Sie sprach von der enormen Integrationsleistung, die die Menschen erbracht haben bzw. noch immer erbringen und sie benannte Schwierigkeiten wie die Nichtanerkennung von Studien- und Berufsabschlüssen. Dass sie jetzt Mitglied des Bundestages ist und die Funktion als Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten bekleidet zeigt aber auch, dass Menschen sich in diesem Land entwickeln können.
Nach Beendigung des Festgottesdienstes nahmen der Ministerpräsident und der Landesbischof eine Einladung in das Bürgerhaus Roßwein an. Astrid Sommer und Madlen Trienitz nutzten die Gelegenheit, die dieser Tag bot, um das Bürgerhausprojekt in seiner vielfältigen Arbeit vorzustellen. Michael Kretschmer folgte den Ausführungen der beiden Frauen, die auch Vertreterinnen von Nutzergruppen eingeladen hatten. Er und der Landesbischof trugen sich hier auch in das „Goldene Buch“ der Stadt ein. Eigentlich war für diese Stippvisite nur ein Zeitfenster von 10 min durch das Protokoll eingeplant, aber es entwickelte sich ein angeregtes Gespräch unter den Anwesenden und so verging mindestens die doppelte Zeit, bevor sich das Bürgerhaus wieder leerte und Michael Kretschmer zurück in die Landeshauptstadt fuhr.
Für die zweite Tageshälfte standen auf dem Markt ein großes Festzelt, eine Bühne und verschiedene Catering- und Infostände bereit. Aus Roßwein beteiligten sich u. a. die Christliche Buchhandlung und die Roßweiner Werkstätten. Die Kirchgemeinde lud zu Turmbesteigungen in die Kirche ein, der Heimatverein öffnete das Heimatmuseum und der Dampfmaschinenverein bot eine Führung durch das Dampfmaschinenmuseum an.
Tanzgruppen in russischen Trachten traten auf der Bühne auf und es wurden Lieder aus der Heimat gesungen. Laut und kraftvoll tönten die Gesänge über den Markt und die Freude darüber, eine Vielzahl von Landesbrüdern zu treffen, sich auszutauschen, sich zu stärken, war zu spüren.
Mit dem Lied Gloria endete um ca. 16.00 Uhr das Programm und Helena Radisch lud die Anwesenden zum nächsten Aussiedlertag 2025 ganz herzlich in die Stadt Werdau ein.
(Text: Stadt Roßwein, Fotos: Stadt Roßwein, Sven Bartsch, Martina Thiele)
Rede von Frank Trommer:
Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher des diesjährigen Aussiedlertages,
in meiner Funktion als 2. stellvertretender Bürgermeister der Stadt Roßwein begrüße ich Sie alle hier in unserer Kirche ganz herzlich. Es freut mich ganz besonders, dass sich heute unter den anwesenden Gästen unser Ministerpräsident Michael Kretschmer sowie Landesbischof Tobias Bilz, Superintendent Dr. Sven Petry, die Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Frau Natalie Pawlik und Jörg Höllmüller, 2. Kreisbeigeordneter des Landkreises Mittelsachsen, befinden. Seien auch Sie herzlich willkommen in unserer Stadt.
Bereits in der ersten Jahreshälfte informierte uns unser Pfarrer Herr Dr. Jadatz darüber, dass die Sächsische Landeskirche den Aussiedlertag 2024 in unserer Stadt plant.
Wir freuen uns, dass Roßwein als Veranstaltungsort ausgewählt wurde. Die Verantwortlichen der Sächsischen Landeskirche wie auch die Vertreter der Aussiedler bzw. Spätaussiedler haben dafür sicher gute Gründe. Gute Gründe könnten sein, dass Roßwein geografisch betrachtet einen sehr zentralen Platz einnimmt, dass es durch seine landschaftlich schöne Lage eine angenehme Kulisse bietet, dass die Kirchgemeinde Roßwein-Niederstriegis ein guter Kooperationspartner in dieser Angelegenheit ist und vielleicht hat sich auch herumgesprochen, dass man in Roßwein gut feiern kann. Im nächsten Jahr feiert unsere Stadt das traditionsreiche Roßweiner Schul- und Heimatfest sowie sein 805. Stadtjubiläum.
Verehrte Anwesende, wir begrüßen Sie also ganz herzlich in unserer Stadt und freuen uns, mit Ihnen gemeinsam einen Tag voller guter Eindrücke und Gespräche zu verleben. Auch wenn wir uns nicht persönlich kennen, so sind wir doch durch eine wesentliche Gemeinsamkeit verbunden. Wir alle tragen in mehr oder weniger großen Teilen deutsche Familiengeschichte in uns. Die Familiengeschichte prägt jeden einzelnen ganz spezifisch, sie beschreibt Veränderung aber auch Bestand, Verlust aber auch Erfolg. Im Austausch miteinander können wir die Geschichten voneinander erfahren.
Hier in Roßwein haben die Menschen nicht viele Erfahrungen mit Aussiedlern oder Spätaussiedlern machen können. In unserer Nachbarstadt Waldheim dagegen wurde Anfang der 90er Jahre ein zentraler Anlaufpunkt im ehemaligen Waldheimer Krankenhaus eingerichtet und von da aus haben sich die Bewohnerinnen und Bewohner ihre neuen Lebensperspektiven erarbeitet.
Ein Neuanfang ist nie leicht, für manche sogar nicht zu schaffen. Es braucht Zeit, Menschen die es gut meinen und eine Chance. Als 2015 Asylsuchende in Roßwein ankamen, war es für viele Menschen schwierig, sich dazu zu verhalten. Oft hörte man, dass Menschen ihre persönlichen Fluchterfahrungen mit denen der Neuankömmlinge verglichen. Diese Vergleiche können aber nicht geführt werden. Jede Geschichte ist einzigartig, hat seine eigenen Beweggründe und entstand auch aus einer persönlichen Notsituation. Dieses Verständnis muss sich in der Gesellschaft verankern, damit die Menschen auf dem Weg zur Integration nicht scheitern.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und uns einen anregenden Tag voller Neugier, Interesse, Empathie und Verständnis aber auch Kurzweil und Fröhlichkeit.
Vielen Dank!