Schalom – Wir Juden wünschen uns Frieden.

Olga Vasileva, Mikhail Gantman und Alexej Vancl berühren am 9. November die Menschen in ihrem Inneren.
Am 09. November 2024 waren die Roßweinerinnen und Roßweiner dazu eingeladen, bei den Stolpersteinen der Familie Strauß in der Nossener Straße an der Mahnwache teilzunehmen. Im Anschluss daran konnten sie sich in der Winterkirche bei einem heißen Tee aufwärmen und ab 19.00 Uhr der diesjährigen Gedenkveranstaltung folgen.

Seit der Verlegung von 12 Stolpersteinen im Jahr 2015 organisiert die Kooperation „Stolpersteine“ jährlich am 09. November Mahnwachen und Gedenkveranstaltungen, um an jüdisches Leben in Roßwein zu erinnern. Dazu finden sich im Vorfeld der Veranstaltungen der Roßweiner Pfarrer Dr. Heiko Jadatz, Sophie Spitzner von der AG Geschichte des Treibhaus Döbeln e.V. und Ines Lammay von der Stadtverwaltung zusammen und planen den Inhalt der Veranstaltung.

In diesem Jahr half ihnen dabei der Zufall. Eine Kundgebung für Demokratie und gegen Menschenverachtung führte die Roßweiner Akteure mit Dr. Mikhail Gantman aus Hartha zusammen und dieser erklärte sich gleich dazu bereit, an der diesjährigen Gedenkveranstaltung mitzuwirken. Der aus einer jüdischen Familie stammende Wissenschaftler lebt seit 11 Jahren in Hartha und unterrichtet an der Dresdner Kreuzschule. Seine Frau Olga Vasileva kommt – wie er auch – aus Russland und führt ein Fotostudio in Hartha. Beide absolvierten eine Gesangsausbildung und treten mit eigenen Programmen auf.
Der zurzeit in Roßwein lebende jüdische Schauspieler und Kosmopolit, Alexej Vancl, wurde bereits Anfang des Jahres gebeten, sich an der diesjährigen Gedenkveranstaltung zu beteiligen. Alexej Vancl stammt aus Kiew und studierte lange Jahre im Ausland. In Roßwein machte er mit dem Theater „Figuro“ schon verschiedentlich auf sich aufmerksam.
Gemeinsam entwickelten die Künstlerinnen und Künstler das Programm „mi ha-isch – Ein musikalischer Dialog zu Dritt“ in dem nach der Antwort auf die Frage „Was bedeutet es ein Mensch zu sein?“ gesucht wird. Olga und Mikhail lieferten zu diesem Programm die Lieder und Alexej schrieb die Texte und entwickelte das Szenario.
Die Frage „Was bedeutet es ein Mensch zu sein?“ ist gleichzeitig ein Aufruf zur Selbstreflexion und zur eigenen Verantwortung. Alexej und Mikhail sprechen über ihre Leben und über ihre Beziehungen zur jüdischen Religion. Dabei bewegen sie sich in ihren Erzählungen zwischen Anflügen von Heiterkeit und beschwerenden Alltagsgeschichten. Augenzwinkernd erzählen sie einen jüdischen Witz und blicken danach auf ihre Kindheit. Alexej verbringt seine in den Achtzigern als jüdischer Außenseiter in Kiew. Er erlebt Ausgrenzung und Demütigung bis seine Eltern mit ihm Anfang der 90er in die USA gehen. „Ich musste immer besser sein als die anderen, um studieren zu können. … Jude ist ein Stigma, eine Wunde, die immer dann schmerzt, wenn jüdische Weltverschwörungen kursieren oder Menschen ausgegrenzt werden. …“
Mikhail hingegen verbrachte seine Kindheit in den 90er Jahren in Russland und konnte hier die jüdische Kultur frei erleben. Für seinen Geschmack hätte es gern etwas weniger Religionstreue geben können. Sein Jüdisch-Sein stand nicht im Vordergrund. Seine Frau, eine Russin, wählte er aus Liebe – manchen jüdischen Freunden war dies unverständlich.
Über die weiterführenden Familiengeschichten und verschiedene jüdische Lieder näherte sich das Trio auch der Zeit des Holocausts an. So ist der bekannte Evergreen „Bei mir bist du schön“ ursprünglich ein jiddisches Lied aus dem Jahr 1932. Dieser Umstand wurde durch die Nazis verschwiegen und der Text angepasst. Zu diesem Lied wurden Gefangene vom KZ Theresienstadt ins KZ Auschwitz abtransportiert.
Olga, Mikhail und Alexej strickten gemeinsam ein Programm, dass durch die Zeit und den Raum bis in das „Hier und Jetzt“ führte. Olga berührte mit ihrer sanften, lyrischen Stimme, Mikhail füllte die Lieder mit Lebensfreude und Lebensmut und Alexej verknüpfte die Geschichten geschickt mit den Liedern. Aufgebaut war der Abend als musikalischer Dialog, in dem die Akteure nicht nur schöne Lieder und spannende Geschichten verbanden, sondern auch ein Beispiel der friedlichen Streitkultur lieferten, denn der Friede entstehe „nicht wo alle schweigen, sondern wo es einen authentischen lebendigen Austausch gibt“. Alle drei diskutierten ihre Unterschiede in Herkunft und Religion aber gleichzeitig betonten sie ihre Gemeinsamkeiten, die sie verbinden. Auch wenn ihre Herkunftsländer im Krieg sind, so ist es dennoch nicht ihr Krieg!
Das Thema Traum scheint für alle drei besonders wichtig zu sein. Also luden sie das Publikum ein, mit ihnen gemeinsam zu träumen. Von einer ruhigeren, friedlichen Zeit träumt Mikhail, in der man sich den normalen Problemen des Alltags widmen kann und nicht ums Leben der Freunde fürchten muss.
Olga würde den Tag gern immer mit einem Lachen beginnen und Alexej träumt von einer Welt wo „Rechthaben“ durch Liebe ersetzt wird.

Zum Abschluss spielte Mikhail das Lied „Halleluja“ von dem jüdischen Sänger Leonard Cohen. Die Anwesenden stimmten mit ein und für eine kurze Zeit war die Grenze zwischen den Künstlern und ihrem Publikum verschwunden.

Wir danken Alexej Vancl, Olga und Mikhail Gantman für dieses Programm, das für die Toten und die Lebenden, für das Gestern und das Heute Lieder und Worte fand.

Ein besonderer Dank geht auch an den Roßweiner Posaunenchor, der die Mahnwache an den Stolpersteinen wieder musikalisch rahmte.

(Text und Fotos: Kooperation Stolpersteine)