Volkstrauertag in Otzdorf

Otzdorf
Zum Volkstrauertag versammelten sich, wie all die Jahre, die Einwohner von Niederstriegis und ehrten die Verstorbenen. Pfarrer Reinald Richber sprach das Gebet für die Opfer und Hinterbliebenen und Heiner Richter hielt traditionsgemäß die kleine Ansprache.

Sehr geehrte Einwohnerinnen und Einwohner, sehr geehrte Gäste,

heute treffen wir uns wieder an diesem Denkmal und ich danke euch, dass Ihr euch hier eingefunden habt. Der Grund unserer kleinen Zusammenkunft ist wieder der Volkstrauertag!

Ich weiß nicht, wie es euch ergeht – mir kommen manchmal Zweifel, ob sich dieses kleine Treffen überhaupt noch lohnt. Doch spätestens wenn ich die Nachrichten höre oder die Zeitung aufschlage, werden diese Zweifel schnell hinweggefegt. Und wenn ich dann bei Wanderungen an einem Denkmal, welches den Kriegsopfern gewidmet ist, vorbeikomme oder eben hier an unserem Denkmal stehe, dann wird mir klar, dass es unbedingt notwendig ist die Geschichte, aber auch die gegenwärtigen gewalttätigen Auseinandersetzungen nicht zu vergessen. Im Gegenteil: Wir müssen aufmerksam sein und alles dafür tun, um nicht in einen neuen Verderb bringenden Strudel zu geraten. Es ist grausam zu beobachten, wie Habgier, Geltungsbedürfnis und Herrschsucht Menschen befallen und sie zu Untieren machen. Jeden Tag sind neue Hiobsbotschaften den Medien zu entnehmen. Irgendwo auf der Welt findet sich leider immer eine Gegend, wo Anschläge stattfinden, unschuldige Menschen ermordet werden oder Länder sich wieder militärisch bekriegen. Die Menschheit findet seit Jahrhunderten keine Ruhe – auch, man sollte es nicht glauben, im 21. Jahrhundert nicht, wo doch nur noch vernunftbegabte Lebewesen vorzufinden wären, wie es einst in Zukunftsromanen, heute nennt man diese Science Fiction-Romane, zu lesen war. Da haben wohl die Schriftsteller zu sehr an die friedliche Entwicklung der Menschheit geglaubt. Wir in Deutschland, nein nicht nur in Deutschland sondern in ganz Europa, haben in den vergangenen Jahrzehnten eine friedliche Zeit trotz aller Probleme erleben dürfen. Und ich bin mir sicher, dass sich die Soldaten auf den Friedhöfen gefreut hätten, wenn sie „nur“ diese Probleme gehabt hätten. Wir leben in Frieden. Wir verdrängen die schlechten Seiten der Geschichte. Und leider gibt es immer weniger Mitmenschen, die im Krieg waren und die uns davon noch erzählen, ja, die uns mahnen könnten – die Zeit löscht vieles aus.

Heute, am Volkstrauertag, sollte eigentlich jeder merken und sich Gedanken darüber machen, warum in Deutschland die Fahnen auf Halbmast stehen. Mit dem Gedenken an alle Opfer der Vergangenheit und Gegenwart nimmt der Volkstrauertag uns damit in die Pflicht, den Menschen und die Menschlichkeit in den Mittelpunkt unseres täglichen Handelns zu stellen. Alles, was dem Frieden und dem Zusammenwachsen der Menschen und Länder dient, ist willkommen und hochachtenswert. Und so ist es auch zu begrüßen, dass alles getan wird, vergangene Feindseligkeiten zu begraben und das vergangene, gegenseitige Morden und Gemetzel zu verzeihen.

In diesem Sinne trafen sich am 10. November Frank-Walter Steinmeier und Emmanuel Macron auf dem Hartmannsweilerkopf im Elsass. Die beiden Staatschefs weihten dort bei eisigem Winterwetter das erste deutsch-französische Museum zum Gedenken an die Toten des Ersten Weltkriegs ein. Es soll die Versöhnung der beiden EU-Kernländer symbolisieren. Der über ein Jahr lang umkämpfte Hartmannsweilerkopf in den Vogesen ist wegen der 30 000 Toten als «Menschenfresser» bekannt geworden. «Das massenhafte Sterben an diesem Ort steht für den Irrsinn des Krieges», sagte Steinmeier. Diese Aufarbeitung ist notwendig, um wieder Normalität zwischen den Menschen der unterschiedlichsten Nationen herzustellen. Und Macron erklärte: „Die deutsch-französische Eintracht ist das eindrücklichste Beispiel, was unser Wille zum Frieden verwirklichen kann.“

Liebe Otzdorfer, liebe Gäste, ich bedanke mich bei euch für eure Aufmerksamkeit.

Ich möchte aber die Gelegenheit nutzen und gerne noch einen kleinen Nachtrag machen:

Es ist nicht Sinn und Zweck, am Volkstrauertag einen Nachruf für einen verstorbenen  Mitbürger zu halten. In diesem Fall möchte ich es aber dennoch tun. Es geht um Herrn Erich Rusche, welcher am 07. November aus unserer Mitte gerissen wurde. Mir liegen diese Worte deshalb am Herzen, weil sich unser Erich nicht nur für die Mitmenschen und Dorfbewohner einsetzte, sondern weil er sich jahrzehntelang auch um dieses Denkmal, das Otzdorfer Denkmal, gekümmert hat. Ich habe ihn in der Vergangenheit manchmal gesehen, wie er das Denkmal pflegte und ich habe mich gefragt, warum tut er das? Ist es Pflichtbewusstsein, will er einen Ort im Dorf, um den sich sonst keiner kümmert, vor der Verwilderung schützen oder sind es persönliche Gründe, die ihn in Beziehung zu diesem Denkmal bringen?  Vor Jahren, als wir einmal darüber sprachen, wurde mir manches klar und ich konnte ihn verstehen als ich erfuhr, dass er im Krieg seine drei Brüder verloren hat. Emsig bemühte er sich um dieses Stück Geschichtserinnerung und sammelte sogar Spenden, damit die Namenstafel für die gefallenen Soldaten des 2. Weltkrieges, welche es vorher nicht gab, 2005 aufgestellt werden konnte. Aus diesem Grund halte ich ganz einfach eine Erwähnung dieser Tatsache und damit ein Gedenken an unseren Erich Rusche im Rahmen des Volkstrauertages für sinnvoll und notwendig.

Und ich kann nur sagen: „Erich, hab Dank dafür!“

(Text und Foto: Heiner Richter)