Midissage der Wanderausstellung „Gegen das Vergessen“ lockte Interessierte in die Rathausgalerie

Die Wanderausstellung „Gegen das Vergessen“ lockte am Freitag, den 01. Oktober 2021 dreißig Besucher in die Roßweiner Rathausgalerie. Der frühere Waldheimer Bürgermeister Steffen Blech informierte als Vertreter der François Maher Presley Stiftung für Kunst und Kultur über die Initiatoren und das Anliegen der Ausstellung, die unter der Schirmherrschaft des Landrates steht. Neben den Zeichnungen des Jugendlichen Thomas Greve über den Lageralltag im KZ konnten sich die Besucherinnen und Besucher an diesem Abend auch Filmaufnahmen ansehen, bei denen der 1930 Geborene über seine Erlebnisse während des Holocaust berichtet.

Bürgermeister Veit Lindner freute sich, dass neben Herrn Blech und Herrn Ließke von der o.g. Stiftung auch Frau Sophie Spitzner vom Treibhaus e.V. Döbeln an diesem Abend zu Gast war. Den musikalischen Rahmen gestalteten Adrian und Florian Cyrnik von der Musikschule Mittelsachsen.

      

 

Herr Lindners Rede knüpfte an diesem Abend inhaltlich an sein Grußwort des  Ausstellungskataloges „Gegen das Vergessen“ an. Der Wortlaut der Rede soll an dieser Stelle auszugweise abgedruckt werden.

„Verehrte Anwesende, ich freue mich, dass Ihr Interesse Sie in diese Ausstellung führt. Eine Ausstellung, die sich im Kern mit dem Thema der Schuld Nazi-Deutschlands für begangenes Unrecht und für den millionenfachen Mord an europäischen Mitmenschen sowie an der Verblendung der eigenen Bevölkerung und der daraus resultierenden Verantwortung beschäftigt.

Die Ideengeber dieses Ausstellungsprojekts bahnen sich über, erhaltene Bilder, Skizzen und Zeichnungen, den Weg in den Lageralltag der Konzentrationslager Auschwitz, Groß-Rosen, und schließlich Buchenwald.

Gezeichnet wurden diese Bilder von Thomas Greve. Als 13-Jähriger wird dieser 1943 mit seiner Mutter nach Auschwitz deportiert. Später wird er nach Groß-Rosen und schließlich nach Buchenwald verlegt. Seine Mutter wird in Auschwitz ermordet. Thomas Geve gehörte zu den 904 Kindern und Jugendlichen, die das Konzentrationslager Buchenwald überlebt haben.

Auf der Homepage der KZ-Gedenkstätte Buchenwald – Mittelbau-Dora liest man zu Thomas Greve folgendes: „Nach der Befreiung gab man ihm Papier aus dem Lagerbüro – Formulare der SS und anderes, meist im Format 15 x 12 cm – und er zeichnete die Lagerwelt, den Alltag im KZ, Appelle, Essensausgabe, Arbeit, Krankheiten, Terror der SS und fertigte erstaunlich genaue Pläne an.

Die Originalzeichnungen befinden sich im Kunstmuseum von Yad Vashem.“

Diese Bilder und Skizzen legen seitdem Zeugnis darüber ab, wie der Alltag der Häftlinge in den Konzentrationslagern ablief. Ein Alltag geprägt von körperlicher Ausbeutung, Hunger, Entmenschlichung, Gewalt und Tod. In naher Zukunft wird es keine Zeitzeug*innen mehr geben, die über diese Gräueltaten berichten. Gerade deswegen sind die ausgestellten Werke von unschätzbarem Wert. Zum einen dienen sie als historische Quelle, veranschaulichen die Zeit in den Lagern und dokumentieren die Verbrechen. Zum anderen sind es individuelle Hinterlassenschaften, die die Erinnerung an die Menschen wachhalten.

Dass diese Ausstellung nun auch in Roßwein gezeigt wird, begrüße ich sehr. Die in den vergangenen drei Jahrzehnten erfolgte Aufarbeitung der lokalen Geschichte führte den Roßweiner*innen und ebenso mir die Tatsache nahe, dass auch in Roßwein KZ-Häftlinge durch Zwangsarbeit ausgebeutet wurden.

In Nossen existierte von November 1944 bis 14. April 1945 ein Außenlager des KZ Flossenbürg. Etwa 650 Häftlinge, unter ihnen Menschen aus Polen und der Sowjetunion sowie etwa 100 Juden, waren anfänglich in den Kellergeschossen der Klostermühle Nossen untergebracht. Außerhalb der Stadt Nossen bauten Häftlinge ein Barackenlager, welches dann ab Februar 1945 als Unterkunft diente. Ein Teil der Häftlinge musste für die Firma Warsitz in Nossen Waffenhülsen herstellen. Die anderen Häftlinge wurden in Roßwein zur Zwangsarbeit eingesetzt.

Diese Gefangenen haben in den Ebro Werken der Brüder Ernst und Karl Bröers Aluminiumgussteile für die V2-Montage in Mittelbau Dora produziert. Dafür wurden sie in einem Viehwaggon mit der Bahn täglich von Nossen nach Roßwein gebracht, wo sie im Mehrschichtsystem arbeiten mussten.

Pro Schicht wurden etwa 20 Häftlinge eingesetzt, die nach der Arbeit wieder in das KZ Außenlager transportiert wurden. SS-Wachmannschaften aus Nossen beaufsichtigten die Häftlinge während der Arbeit und auf dem Transport. Der Einsatz von KZ-Häftlingen war mit erhöhten Sicherheitsbestimmungen verbunden – so wurde das Betriebsgelände mit einem Stacheldraht von drei Meter Höhe umzäunt.

Auch diesen KZ-Häftlingen widmen wir die Ausstellung, um an sie zu erinnern und ihr Schicksal sichtbar zu machen.

Theoretisches Wissen über den Nationalsozialismus erhielt die Generation, der ich angehöre, im Schulunterricht. Im Rahmen von Klassenfahrten besuchten die Schüler*innen auch die Gedenkstätten ehemaliger Konzentrationslager. Mich persönlich führte eine solche Fahrt in die Gedenkstätte Buchenwald. Das dort abgebildete Grauen haben wohl alle, die mit auf der Fahrt waren, noch in Erinnerung.

Aber weder die Fahrt noch der Unterricht führten dazu, dass wir uns die Frage stellten: „Was passierte in meiner Heimatstadt während der Zeit des Nationalsozialismus?“ Erst in der jüngeren Vergangenheit, in der sich faschistisches Gedankengut wieder zeigt, Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus wieder zunehmen und die Zivilbevölkerung noch zu oft unsicher im Umgang damit ist, begann auch meine Heimatstadt sich mit dieser Frage zu beschäftigen.

In den Jahren 2012-2013 initiierte unsere Stadtverwaltung eine Projektstelle, die sich mit dem „Städtischen Leben in der Zeit von 1938 bis 1950“ beschäftigte. Es wurde recherchiert, dokumentiert und Zeitzeug*innen gehört, um die Geschichte zu bewahren und an folgende Generationen weitergeben zu können. Schon Jahre zuvor widmete sich Prof. Dr. Matthias Pfüller von der ehemals ortsansässigen Fakultät „Soziale Arbeit“ der Hochschule Mittweida, diesem Thema.

Es entstand unter seiner Anleitung sowohl eine Ausstellung über den Einsatz von KZ-Häftlingen, Zwangsarbeiter*innen und Kriegsgefangenen als auch eine Faktensammlung für einen thematischen Stadtrundgang. Im Rahmen von Erzählcafés und durch die Arbeit der AG Geschichte des Treibhaus Döbeln e.V. erfuhren wir weitere Einzelheiten zu dieser Zeit. Seit November 2015 gibt es außerdem zwölf Stolpersteine in Roßwein, die an das ehemalige jüdische Leben in unserer Stadt erinnern. Inzwischen bildet auch unser jährlicher Veranstaltungskalender feste Termine ab, bei denen sowohl die Kirchgemeinde Roßwein-Niederstriegis, die Stadtverwaltung und der Treibhaus e.V. Döbeln Erinnerungsarbeit sowie Aufklärungs- und Informationsarbeit leisten.

Ich begrüße jegliche Aktivitäten, die der Erforschung unserer Geschichte dienen ausdrücklich und würde mir wünschen, dass die Ergebnisse dieser Recherchen und Zeitzeugenbefragungen zur Folge haben, dass wir alle aus der Geschichte lernen und die aus der deutschen Schuld erwachsenen Verantwortung wahr- und ernstnehmen.

Leider werden zunehmend Stimmen in Deutschland laut und es werden Bestrebungen sichtbar, die nationalistisch, rassistisch und gewalttätig gegen andere Menschen sind. Um diese Strömungen nicht noch zu stärken, reicht es nicht mehr, wenn Einzelne zur Erinnerung mahnen und diese Mahnungen mancherorts zu Floskeln verkommen. Es wird nötig sein, sich mit der Gesellschaft und sich selbst zu beschäftigen. Inzwischen kommt es auf die Haltung der Menschen an – es kommt auf die eigene Haltung an.

Lassen Sie mich zum Schluss meiner Rede noch ein paar Worte des deutschen Schriftstellers Robert Heinlein zitieren. Heinlein lebte von 1907 bis 1988.

„Eine Generation, die die Geschichte ignoriert, hat keine Vergangenheit – und keine Zukunft.“