Zeitreise in das Ende der 80er Jahre oder die Frage „Schlafen Gruftis im Sarg?“

Am Freitag, dem 29. September 2023 las der Leipziger Autor und Musikliebhaber Dr. Alexander (Sascha) Lange aus seinem Buch „Our Darkness“. In diesem beschäftigt er sich mit der Jugendkultur der späten 80er und frühen 90er Jahre. Dabei nahm er speziell die Waver und die Gruftis ins Visier. Der promovierte Historiker erinnerte zu Beginn seiner Ausführungen an die Radio-Sendung DT64, die erst in den 80er Jahren im DDR-Radio lief und den Durst der Jugendlichen diesseits der Mauer nach moderner und internationaler Musik stillte. Er erinnerte auch an die 60-Minuten ORWO Musikkassetten, die sich nur bedingt zum Aufnehmen von Schallplatten eigneten. Viele schmunzelten an dieser Stelle und erinnerten sich an die Zeit in der sie selbst vor dem Radiorekorder die Finger auf dem Aufnahmeknopf drückten – immer in der Hoffnung, dass der gewünschte Titel ja nicht durch das „Gequatsche“ des Moderierenden unterbrochen würde. Auch sprach er von Legenden und Mythen, die gerade unter den Gruftis bzw. über die Gruftis kursierten. Ein besonders absurdes Beispiel dafür war die Geschichte, dass sich Gruftis zum Schlafen in einen Sarg legen. Aus Sicht des Autors sprachen allein schon die Maße von Standart-Särgen gegen diese Legende und überhaupt, wo hätte man denn in der DDR einfach mal so einen Sarg auftreiben sollen…?

Den Einfluss der westdeutschen Jugendzeitschrift „Bravo“ auf Ost-Jugendliche betonte der Sascha Lange anhand verschiedener Fotos früherer Bravo-Titelseiten, die er während seiner Lesung auf der Leinwand präsentierte.

   

So holten sich doch viele Mädchen und Jungen über die Bilder der Bravo ihre Inspirationen, um ein eigenes Outfit zu kreieren. Natürlich wurde dabei in die „Improvisationstrickkiste“ gegriffen und trug man statt Doc Martens – Schnürstiefel besonders derbe Arbeitsschuhe mit Schnürsenkeln und statt Haarfärbemittel nutzte man das Fußpilz-Heilmittel Kaliumpermanganat für einen coolen Lila-Look.

    

In der Pause standen die über 50 Gäste der Lesung in Grüppchen zusammen und schwelgten in ihren – meist ähnlich geprägten -Erinnerungen. Donnerstags ging es zur Disko in den Herkules und den Rest des Wochenendes traf man sich wahlweise im Staupitzbad, im Volkshaus, im „Wilden Mann“ (Ostrau), in Etzdorf, Otzdorf oder Berbersdorf … Musik bestimmte für viele die Freizeit, man saß vor dem Rekorder und schnitt seinen Lieblingsmusik mit, man tauschte sich mit Freunden aus und versuchte Wissen über die eigenen Helden zu generieren. Man schnitt Bilder aus „Westzeitungen“ aus, oder fotografierte sie ab. Wer so gar keine andere Wahl hatte, der pauste geliehene Bilder mithilfe von Butterbrotpapier ab. Fan von Depeche Mode, Cure, Ann Clark …. zu sein war also in der DDR vergleichsweise aufwendig.

Im zweiten Teil der Lesung sprach Dr. Lange dann von dem Problem, dass die Stasi mit manchen dieser Jugendlichen hatte. Aufwendig inszenierte junge Menschen in schwarzer Kleidung, mit extremen Frisuren, melancholischem Pathos und einem Hang zu Wohnungspartys. So trafen sich 1988 in Berlin Marzan in einer Einraumwohnung 70 Gruftis und das es ähnliche Vorfälle auch in Leipzig gab, ließ sich später in den Stasi-Unterlagen nachlesen.

Our Darkness – Ein Gruppe Gruftis im Jugendzimmer | (c) Merit Schambach (https://www.spontis.de/schwarze-szene/subkultur/our-darkness/, verfügbar am 05.10.23)

Am Ende der Veranstaltung verließen die Gäste den Saal mit dem Gefühl der kollektiven Erinnerung an eine gemeinsame Zeit, auch wenn der Platznachbar nicht zum eigenen Freundeskreis gehörte. Einige von ihnen dankten Dr. Lange noch einmal persönlich für den Vortrag. Auch Hans-Jürgen Reichelt, dessen Ausstellung die Inspiration für diese Lesung war, und Dirk Eckart, von der Gemeinhardt Service GmbH, waren mit dem Verlauf des Abends sehr zufrieden. Letzt Genannter unterstützte dankenswerter Weise die Veranstaltung auch finanziell.

Die Stadt Roßwein dankt allen Beteiligten und Unterstützern an der Stelle nochmals herzlich.

Text: IL, Fotos: Philipp Herzog