„Das Lachen der Kinder werde ich vermissen“
„Das Lachen der Kinder werde ich vermissen“
Barbara Richter geht nach 43 Jahren als Grundschullehrerin in Rente – mit Tränen, vor allem aber mit zwei lachendenden Augen
Barbara Richter ist niemand, der nah am Wasser gebaut hat. Sie weint eher wenig, sagt die 63-Jährige von sich selbst. Und: „Ich bin hart verpackt.“ Im Schulalltag kann das sicher manchmal auch von Vorteil sein. 43 Jahre lang hat Barbara Richter, die alle nur als „Bärbel“ Richter kennen, in Roßwein Grundschüler auf dem Weg ins Leben begleitet. Mit Hingabe und Ehrgeiz. Auf ihre eigene Art und Weise. Mit „Zuckerbrot und Peitsche“, wie es so schön heißt.
Jetzt hat es einen Moment gegeben, an dem die hart Verpackte ihre Tränen nicht zurückhalten konnte. Beim Abschlusskonzert der dritten und vierten Klassen im Rathaussaal war für sie der Moment des Abschiednehmens gekommen. Für Bärbel Richter, die nicht gern im Mittelpunkt steht und ganz bewusst keine offizielle Verabschiedung haben wollte, eine überwältigende Situation. Für die haben nicht nur „ihre Kinder“, wie sie die eigene Klasse stets zu nennen pflegt, gesorgt, sondern auch Kollegen, Eltern, Vertreter der Stadt. Und ihre Tochter war zur Überraschung extra aus Holland angereist, um der Mutter in diesem Moment beizustehen. „Mutti, in den Stunden kann ich dich nicht allein lassen“, hat sie gesagt und Bärbel Richter gleich im Anschluss für ein paar Tage nach Mallorca entführt.
Vor der Bildung kommt die Erziehung
Jetzt ist Roßweins stellvertretende Grundschulleiterin – noch ist sie es ja genau genommen – zurück. Zurzeit räumt sie ihr Büro in der Schule aus. Der Abschied ist noch unwirklich. Doch die Wände sind schon kahl, jede Menge Kartons stehen zusammengerückt in einer Ecke, oben auf liegt das Foto eines ihrer Enkelkinder. Alle fünf leben weit entfernt – in Holland und in der Nähe des Bodensees. Sie freut sich unbändig auf die Zeit, die sie jetzt mit ihnen verbringen kann – auch mal außerhalb der Schulferienzeit. Am 1. August hat Bärbel Richter ihren ersten offiziellen Tag als Rentnerin.
Auch wenn sie immer gern Lehrerin war: „Ich gehe nur mit einem lachenden Auge.“ Am Ende hat die Kraft gefehlt, sagt sie. Als sich die Alternative bot, früher zu gehen, hat sie nicht lange überlegt. Zu Hause warten ihr Mann, ein großes Grundstück. Die Familie. Reisen. Auf die Zeit ohne Termindruck freut sie sich ganz besonders.
Was sie vermissen wird? Die Antwort kommt prompt: „Das Lachen der Kinder morgens beim Einlass.“ Nur wer mit einem Lächeln und einem „Guten Morgen“-Gruß kommt, darf ins Schulhaus. Das hat Barbara Richter irgendwann während ihrer vier Jahrzehnte an der Grundschule eingeführt. Sie stammt aus Lommatzsch und hätte gleich nach dem Lehrer-Studium damals in Nossen auch dort eine Stelle bekommen können. Doch weil sie gemeinsam mit ihrem Mann und dem bereits geborenen Sohn eine eigene Wohnung haben wollte, wurde sie 1976 nach Roßwein versetzt. Fing an der Geschwister-Scholl-Schule als Pionierleiterin an und unterrichtet Russisch. Nicht ihr Traum. Sie wollte eine eigene Klasse. Mit Kindern zu arbeiten, sei schon immer ihr Traum gewesen, erklärt Barbara Richter, warum sie Lehrerin geworden ist. Bei ihr kommt vor der Bildung die Erziehung. Deshalb war es für sie immer wichtig, ihre Kinder auch über den Unterricht hinaus kennenzulernen. Streng ist sie, ja. Doch wenn ihre Schützlinge gewisse Grenzen eingehalten haben, konnte man mit ihr auch ganz viel Spaß haben. Als sie sich weigert in die Partei einzutreten, ist sie ihren Posten als Pionierleiterin los. Endlich. Ab 1981 unterrichtet sie.
Eigene Wege mit Montessori-Diplom
Der Lehrerüberhang nach der Wende und die damit verbundene Stundenkürzung war für Bärbel Richter ein Schock. Sie macht eine Zusatzausbildung zum Ethiklehrer, unterrichtet das Fach auch in Ebersbach und Niederstriegis. Und sie hängt das Montessori-Diplom dran, unterrichtet danach entsprechend dem pädagogischen Bildungskonzept. Noch heute ist sie ihrer damaligen Schulleiterin dankbar, dass sie sie „einfach hat machen lassen“, in vielerlei Beziehung.
Der normale Unterricht und die Arbeit mit Kindern reicht Bärbel Richter nicht. 2005 geht sie ins Lehrerseminar, unterrichtet Lehramtsanwärter in Deutsch. Eine tolle Zeit, schwärmt sie. Sie merkt, dass ihr auch die Arbeit mit Erwachsenen liegt. Der nächste Schritt ist der zur stellvertretenden Schulleiterin. Als ihre Chefin sie fragt, bewirbt sie sich 2010 und bekommt den Job. Drei Jahre später wird sie Fachberater Deutsch und kümmert sich zuletzt vorrangig um die Seiteneinsteiger.
Halbe Sachen gibt es für Bärbel Richter nicht. Deshalb ist sie jetzt auch froh, in den Ruhestand gehen zu können. Nicht vermissen wird sie die Stresssituationen – wenn krankheitsbedingter Ausfall zu kompensieren war. Oder wenn sie innerhalb von acht Wochen vier neue Stundenpläne geschrieben hat, weil einfach keine Lehrer da waren. Diese Zeit liegt noch nicht so lange zurück. Doch jetzt hat sich die Lage an ihrer Schule entspannt und sie hat ein gutes Gefühl beim Gehen. Sechs Seiteneinsteiger und zwei Lehramtsanwärter haben für frischen Wind gesorgt, das Kollegium hat sich prima gefunden.
Bärbel Richter wird in der Vorbereitungswoche noch einmal in die Schule kommen und über den Stundenplan schauen. Auch Unterstützung für die neue Kollegin, die als Stellvertreterin kommt, bietet sie an. Ansonsten kann Bärbel Richter sehr gut damit leben, dass die Schule jetzt keine Rolle mehr in ihrem Alltag spielt.
Text: Manuela Engelmann-Bunk, DAZ
Foto: Sven Bartsch