Erinnerungsveranstaltung „30 Jahre Wiedervereinigung“
bot Sinnliches, den „Farbfilm“ und Hintergründe
Auf den Punkt genau – am Tag der Einheit – fand im Roßweiner Rathaussaal die zweite Erinnerungsveranstaltung zum Thema „30 Jahre Wiedervereinigung“ statt.
Ging es zu Jahresbeginn in der ersten Erinnerungsveranstaltung darum physisch die Grenze zwischen den beiden deutschen Teilen zu überwinden, so bildeten in dieser zweiten Veranstaltung das Durchlässige, das Verbundende, das Trennende und das Sinnliche die Schwerpunkte.
Maja Stieghorst und Grit-Jeannette Brendel stellten an diesem gesamtdeutschen Feiertag ihren Film „Der Duft des Westpaketes“ in den Mittelpunkt. Ein Film, der sich mit den Fragen beschäftigte, wer sendete wem Westpakete, was war deren Inhalt und welcher Duft war ihnen deshalb eigen. Aber es wurden auch die Fragen gestellt: Welchen Einfluss nahm die DDR-Staatsregierung auf das Phänomen „Westpaket“ und wo dienten diese Pakete nicht nur den eigentlichen Adressaten?
Die aufmerksamen Zuhörer erfuhren in diesem Film von einem jungen Mann, der mit größtem Aufwand versuchte, sich den Duft des Westpaketes „nachzubauen“. Sie erfuhren von großen Hallen, in denen die DDR-Post nicht zugestellte Westpakete hortete, durchsuchte und deren Inhalt z.T. als Exportartikel wieder an den Westen „zurückverkaufte“. Auch wurden die Pakete derer, die nach ihrer Ausreise für die Daheimgebliebenen Geschenke schicken wollten, aus dem Post-Verkehr gezogen.
Die Zuschauer erlebten in dem Film nochmals, dass Westpakete den Zweck der „Selbstversorgung“ in der Mangelwirtschaft der DDR erfüllten. Protagonisten des Films berichteten davon, wie sich Familienmitglieder die durch die Mauer getrennt waren mit „gebrauchten Kleidungsstücken“, geschmuggelten Westgeld etc. unterstützten.
Ein GENEX-Katalog wurde in dem 60-Minüter auch gezeigt. Einige Zuhörer sahen einen solchen Katalog zum ersten Mal in ihrem Leben. Der Duft der Pakete wurde aber von allen Interviewten als besonders beschrieben. Wurden Menschen aus der ehemaligen DDR gefragt, dann erklärten sie, dass es wohl eine Mischung aus Kaffee, Seife, Wrigleys-Kaugummi, Schokolade sein müsste. Sie selbst vermissen den Duft, der sich in ihrer nun sauberen und gutriechenden Umwelt nicht mehr abhebt.
Fragt man jene, welche dann die „Dankeschön-Pakete“ aus dem Osten erhielten mit all den Erzgebirgischen Besonderheiten, so beschrieben diese, dass diese Pakete nach Kohle und für sie eher nicht so gut rochen.
Den Verlust des „Duftes der Westpakete“ setzt Wolfgang Thierse in dem Film mit dem Verlust der Sehnsucht gleich. Zu dem staatlichen Poststrukturen sagte er: „Der Staat beklaute seine Leute. Dummerweise wollten sie aber Inhaltsverzeichnisse in den Paketen, so dass der Diebstahl bemerkt wurde.
Für viele der ZuschauerInnen deckten sich an jenem Abend die Filmsequenzen mit den eigenen Kindheitserfahrungen, so dass sie in dem anschließenden Gespräch bereitwillig von dem „Westpaket-Prozedere“, welches in ihrer Familie in Stein gemeißelt war, berichteten.
Mit diesem Film wurde die Besonderheit des geteilten Deutschlands, die Bigotterie der DDR-Post sowie die Absicht des Ministeriums für Staatssicherheit einerseits und die persönlichen, fast romantischen Erinnerungen der Familien, die sich an die Pakete knüpften, herausgearbeitet. Das Alter der Veranstaltungsbesucher schwankte zwischen 14 und 84 Jahren und die Organisatoren des Abends (Stadtverwaltung Roßwein, Treibhaus e.V. Döbeln und Kirchgemeinde Roßwein) zeigten sich mehr als zufrieden über das positive Feedback der Berliner Filmemacherinnen und der BesucherInnen.
Übrigens…
Jenny Handschack, Tochter des Stadtverwaltungsmitarbeiters Renè Handschack , setzte gleich zu Beginn der Veranstaltung mit ihrer Interpretation des Nina Hagen Songs „Du hast den Farbfilm vergessen“ einen Glanzpunkt. Die Stimme der 14-jährigen und natürlich das Lied selbst, brachten das Publikum schon nach einer Minute dazu, im Rhythmus mitzuklatschen. Eine gelungener Start in eine gelungene Veranstaltung.